Rührend
von Klaus Thomas
Nach der ersten sonnigen Frühlingswoche ist es wieder ein kühler, regnerischer Tag. Daher trinkt Machnidis heute seinen Kaffee mal nicht auf der Terrasse sondern im Innenraum seines Stammlokals. Ein wenig hallig ist es hier. Manch
entferntes Geräusch ist deutlich zu hören. Was ist das
für ein Klickern und Klappern. Machnidis ortet die Quelle: Die
Dame dort hinten rührt heftig ihren Latte macciato um. Zweimal pro Umdrehung schlägt der Löffel ans Glas. Der Herr am übernächsten Tisch zeigt
ein ähnliches Verhalten: Sehr lange rühren, einen Schluck
trinken, noch länger rühren. Auch seine dickwandige Tasse ist
hervorragend als Schallquelle geeignet. Machnididis erinnert sich,
schon öfter unmotiviertes Rühren beobachtet zu haben, doch
erst in dieser spezifischen Akustik wird ihm klar, dass es sich um ein
Massenphänomen handelt.
Zwei junge Damen haben gerade ihre Getränke entgegengenommen: Heisse Schokoladen. Hier droht heftiges Rührgeklapper.
Schokoladen sind
besonders mischbedürftig. In
angeregte Unterhaltung vertieft rühren sie schwungvoll noch lange nach der
Zwangsauflösung des allerletzten Körnchens Kakaopulver.
Ein eher blechernes Schellengebimmel hingegen ist nach wenigen
Wiederholungen geortet: das Handy einer der beiden, in ihrer Tasche,
die sie hinter sich auf dem Stuhl verwahrt. Sie
gibt sich mit dem vorderen Drittel der Sitzfläche zufrieden.
Weitere drei Blechklingelstösse bis sie ihr Handy herausgekramt
hat und das Display anschaut bevor sie den Knopf zur Annahme des Gesprächs drückt, fast gleichzeitig die Begrüssung: "Hi Frank". Für jedermann gut
hörbar erklärt sie Frank, wo sie gerade sind und wie man
hierher findet. Machnidis muss schmunzeln, dass er in Deutschland auf
Geräusche und lautes Telefonieren aufmerksam wird, Erscheinungen die in seiner
griechischen Heimat allgegenwärtig sind und daher nicht auffallen
würden. Nach dem Telefonat nimmt sie einen kleinen Schluck Schokolade, stellt das Glas bald wieder ab um, ihrer Freundin gleich, weiterzurühren, ganz locker aus dem Handgelenk. Das Wichtigste am Rühren ist
möglicherweise das Setzen akustischer Marken, vermutet Machnidis. In Variation wird ein wenig geschäumte
Oberflächenflüssigkeit vom Löffel geschlürft, dann
weitergerührt.
Obwohl im ähnlichen Glas klappert Kakao tiefer und dumpfer während Café-Latte eher klingelt. In jedem Fall hängt die Tonhöhe davon ab, wieviel noch in der Tasse ist. Soziologisch interessant, wie schnell sich
derartige Verhaltensweisen vermehren, denkt Machnidis, während er
seinen Cappuchino umrührt.
Trompetenstösse intonieren "O
Tannenbaum". Wieder jemand, der nicht
kapiert, dass ein Lied kein Klingelton ist, ärgert sich Machnidis.
Immer wieder, immer lauter "O
Tannenbaum". "Zu allem auch noch so kitschig und unpassend" wundert
sich Machnidis über soviel Geschmacklosigkeit. Die beiden
Kakaotrinkerinnen schauen suchend in
seine Richtung. "O
Tannenbaum" es kommt aus Machnidis' über der Stuhllehne
hängender Jacke. Hat er gestern beim Rumspielen ungewollt seinen
Klingelton
verstellt?
© Klaus Thomas 2009
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