Flüchtlinge und Ausflüchte

von Klaus Thomas

In einer Illustrierten sehe ich dieses Foto. Es bohrt sich in mein Bewusstsein, wühlt mich auf.

Am Strand einer südeuropäischen Ferieninsel liegt erschöpft ein Schwarzer, der sich gerade mit letzter Kraft, vielleicht mit Hilfe Anderer, aus einem gekenterten Flüchtlingsboot dorthin gerettet hat. Neben ihm
kniet eine weisse Urlauberin, bekleidet mit modisch knappem Bikini, seinen Kopf stützend, mit Verzweiflung im Blick nach Hilfe umherschauend.
Die Abbildung eines Konfliktes, der mich angreift. Verteidigungsreflexe werden auslöst. 

Ich erschrecke über meinen Sarkasmus: "Relaxter Schwarzer lässt sich von ärmlich bekleideter Frau umsorgen."
Mir wird schlecht.
"Was interessiert mich Afrika? Hier in Deutschland verhungern die Kinder"
Die gängingen Ausflüchte erscheinen mir plötzlich nicht weniger kotzig:
- "Ich kann da nichts machen. Das ist Sache des Staates. Wofür zahl ich schliesslich Steuern?"
- "Ich hab wirklich nichts mehr übrig. Sollen doch erstmal die Reichen..."
- "Wer weiß, wo die Spendengelder landen? - Man hört ja so viel ..."

Auch der Abwehrversuch "Das sind doch alles Wirtschaftsflüchtlinge, die wollen nur in unserem Wohlstand
schmarotzen" verschafft  mir keine Linderung. Vielleicht hat dieser Mensch seine Heimat verlassen, nicht weil dort Krieg wütet, sondern  Hoffnungslosigkeit herrscht, was im übrigen auch häufig  eine Kriegsfolge ist. Da entwurzelt sich jemand, setzt sein Leben auf's Spiel, um hierhin zu gelangen, wo er sich eine Existenzchance erhofft. Ist Flucht vor Hunger weniger akzeptabel als Flucht vor Krieg?
Mein Kopf schmerzt.

Ich ahne, dass mich Afrikas kaputte Strukturen spätestens im Angesicht ihrer Flüchtlinge anrühren.
Als Deutscher inmitten Europas profitiere ich davon, dass diese Probleme an die Aussengrenze delegiert werden. Somit ist es in erster Linie die Aufgabe der kleinen EU-Randstaaten sich der Migranten anzunehmen, die Asyl- bzw. Abschiebungsverfahren durchzuführen und derweil für Unterbringung zu sorgen.
Was interessiert es mich, wenn die in ihrer Überforderung übertreiben und Hilfesuchende gewaltsam aus EU-Hoheitsgebiet fernhalten.
So kann ich als
Griechenlandgieriger meinen Wegschau-Zynismus auch im Urlaub durchhalten.

Noch wirksamer ist mein Schutz vor den Schutzbedürftigen, wenn diese gar nicht erst in die Nähe meiner griechischen Lieblingsinsel gelangen. Mein Staat leistet Vorsorge, indem er Pufferstaaten wie z.B. die Türkei dafür bezahlt, die Flüchtlinge
schon auf türkischem Territorium abzufangen. Ausserdem: Sollten Menschenwürde- und Körperverletzungen in der Türkei begangen werden, fällt mir die Entrüstung leichter, als bei gleichen Delikten in Griechenland.
Stechender Schmerz im Schläfenbereich.

Ich ahne, dass diese Massnahmen immer teurer werden, die Flüchtlingsströme zunehmen.
Wir werden militärischen Aufwand betreiben, diese Menschen draussen zu halten. Was wird, wenn sie wohlorganisiert gegen das EU-Bollwerk anrennen? Wenn komplette Staaten der Dritten Welt an unserem aufgehäuften Reichtum teilhaben wollen, womöglich mit Gewalt? Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob sie einen moralischen Anspruch haben. Die Hoffnungs- und Besitzlosen werden einfach kommen.

Unsere klugen EU-Politiker steuern radikal um. Sie vermeiden weitere Eskalationen, die womöglich in teuren Verteilungskriegen enden und deren Ausgang unklar ist, angesichts der zahlenmässigen Überlegenheit der Armen.
In Rückbesinnung auf eine uralte Tradition gibt Europa den Zehnten an Afrika. Jeder Staat von seinem Bruttoinlandsprodukt, jeder Bürger von seinem Einkommen. Eine sehr schmerzhafte Massnahme, doch sichert dieser Ausgleich die Zukunft aller auf diesem kleinen Globus
.

Ich komme zu Bewusstsein. War ich in ohnmächtig?
Ich starre auf die Illustrierte vor mir.
Die weisse Urlauberin ... mit Verzweiflung im Blick schaut sie mich hilfesuchend an.
Sind wir ohnmächtig?

©  Klaus Thomas      2007

Zurück zu "Griechenlandgeschichten"