Public Viewing
von Tilo Fries

Machnidis sitzt bei diesen Sommertemperaturen gern auf der Terrasse seines Stamm-Cafes. Man kann interessante Beobachtungen machen, manchmal entsteht ein Gespräch. Schon wenige Tage vor der EM gewinnt das Thema Fußball an Aufmerksamkeit, auch bei denjenigen, die bei dem Namen Timo Hildebrand fragen: "Heisst der nicht Dieter?"

Machnidis bekommt einen Dialog am Nachbartisch mit:
"Haste jehört, der Typ von Dallas darf jetzt nich uffn Alex"
"Watt'n für'n Typ von Dallas?"
"Na der ... Bobby .. Ewing ... Viewing ..."
"Du meenst Public Viewing"
Die Antwort geht im beiderseitigen Lachen unter:
"Nee det is sein Bruder"

"Auch der älteste Gag..." denkt Machnidis "... hat immer noch seine Fans"

© Tilo Fries 27.5.2008


Fieber

von Tilo Fries

Berlins Betriebstemperatur steigt. Nicht nur das sommerliche Wetter stimmt Machnidis fröhlich, sondern auch das zunehmende EM-Fieber. Schon in der Woche vor dem Eröffnungsspiel wehen wieder Deutschlandwimpel an Autofenstern. Er hat auch fähnchengeschmückte Fahrräder und  einen schwarz-rot gelb-betuchten Hund gesichtet. An einem Balkon entdeckt er die Griechenlandflagge, was ihn besonders freut. Immerhin ist sein Heimatland der Titelverteidiger. Beim Bäcker identifiziert er auf seinem Kuchenstück ein aufgemaltes halbes Spielfeld. Zur Vollständigkeit kauft er gleich ein zweites Stück hinzu.
In den Lokalen werden Fernseher aufgestellt oder Leinwände gehängt. Sogar auf dem Reichstag, da staunt Machnidis nicht schlecht, wehen die Flaggen der deutschen Nationalmannschaft.
Im Fernsehen meldet sich ein Wisssenschaftler zu Wort, der aus Anlass des gerade laufenden Jahres der Mathematik zu beweisen versucht, dass der Fußball eine Kugel ist. "Etwas wissen ist das eine... " denkt Machnidis " ...es zu erklären, etwas ganz anderes." Dabei kommt ihm die Abseitsregel in den Sinn, an der schon begnadete Didaktiker gescheitert sind.

© Tilo Fries 4.6.2008


Äxl
von Tilo Fries

Machnidis sieht das Eröffnungsspiel Schweiz-Tschechien auf der Terrasse seines Lieblingslokales. Der LCD-Fernseher, vor wenigen Tagen erst besorgt, steht auf Originalkarton auf Tisch zwischen den weit geöffneten Terrassenflügeltüren. Man hat von allen Plätzen gute Sicht.
Nach dem Spiel lässt sich Machnidis von Axel überreden, doch noch an dessen selbstentwickelten Tippspiel teilzunehmen. Mit fünf Euro Einsatz gilt es die Paarungen und Ergebnisse ab dem Viertelfinale vorherzusagen.
Axel ist der Computerfreak, den jeder Bekanntenkreis braucht. Bei PC-Problemen zu helfen ist ihm Genugtuung. Kenner sprechen seinen Namen amerikanisch "Äxl" aus, bzw. so wie das Tabellenkalkulationsprogramm "Excel", mit dessen allgegenwärtigen Einsatz er versucht seinen Alltag zu strukturieren. Seine Lieblingsfilme hat er in einer Excel-Tabelle aufgelistet, inklusive "aller" Daten, wie "wann" und "wo gesehen", "Bewertung" usw. Bevor Äxl in Urlaub fährt, fasst er die recherchierten Sehenswürdigkeiten und Ausflugsziele der Zielregion in einer Exceltabelle zusammen. Anhand eines selbstentwickelten Bewertungsschemas trifft er dann vor Ort die Auswahl.
Äxl weiss, dass Machnidis den Nutzen "dieser Sezierung deines Lebens" wie er es nennt, nicht recht einsehen will.
Doch diesem selbstentwickelte EM-Tippspiel, natürlich auf Excel-Basis, kann Machnidis einen "gewissen Nutzen" nicht absprechen. Nach Eintrag der Spielergebnisse, wird das System einem ausgeklügelten Bewertungsschema folgend, die Tippsieger ermitteln. Machnidis vertraut Äxls Schema und schlägt vor, diese Excel-Tippspieltabelle in der Excel-Masterbewertungstabelle für alle Excel-Tabellen mit einer Extra-Machnidis-Bonusbewertung zu versehen.

© Tilo Fries 8.6.2008


Sprache
von Tilo Fries

Seit Beginn der EM bemerkt Machnidis Veränderungen in der Sprache. Auch bisherige Nicht-Fussballfans unter seinen Freunden sagen verschlüsselte Sätze wie: "Die Spanier haben von 4-1-4-1 auf 4-4-2 umgestellt. Machnidis wird klar, dass die Quersumme jedenfalls 10 sein muss.
Die Aussage "Meckern gibt gelb" ist leicht zu verstehen, im Gegensatz zu "Auch ein Verteidiger, der hinter der Torauslinie liegt, hebt die Abseitsregel auf".
Unklarheit besteht auch über die Frage, ob Machnidis Heimatmannschaft, Die Griechen, nun schon mitspielen oder "noch Beton anmischen".

© Tilo Fries 11.6.2008


Zu Null
von Tilo Fries

Obwohl der Grieche Machnidis gar kein so großer Fussballanhänger ist, wird er seit Samstag bei jeder Gelegenheit auf das Ausscheiden Griechenlands angesprochen. Auch gelegentliche Häme lässt Machnidis an sich abtropfen:
"Haben die Spieler Rehagels Zu-Null-Taktik so verstanden, dass sie auf jeden Fall null Tore schiessen sollen?"
Aus Machnidis laienhafter Sicht waren nur wenige der bisherigen Spiele sehenswert. Die Niederländer haben ihn wirklich begeistert. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Europameister würden.
Ansonsten wird er häufiger gegen 21Uhr einkaufen, wenn die Supermärkte angenehm leer sind.

© Tilo Fries 15.6.2008


Symbole
von Tilo Fries

Machnidis sieht eine elegant gekleidete Dame mit rotem Schultertuch. Erst von hinten erkennt er den weissen Halbmond. Sie trägt die türkische Flagge.
An einem Autofenster weht neben der deutschen die französische Flagge. Das soll wohl heissen: "Ich Franzose bin für euch Deutsche"

Machnidis lernt viel über Fussball bei dieser EM, allein durch mitgehörte Expertengespräche. Zum Beispiel, dass es neben dem Toreschießen auch den Aspekt des ästhetischen Spielens gibt. Und dass kein schönes Spiel entstehen kann, wenn eine der beiden Mannschaften rein "ergebnisorientiert" spielt.

Machnidis ist aufgefallen, dass es meist die ästhetisch spielenden sind, die nach einem erzielten Tor ihren Ringfinger küssen. Bei einem früheren Turnier wurden einmal Salti an der Eckfahne geschlagen.
Ein andermal  war das Tragen von Nasenpflastern modern.

Auch sein Land hat nicht schön gespielt, denkt Machnidis und lässt selbsbewusst auf seinem Balkon den Griechenlandwimpel im Blumenkasten, als er daneben den Deutschlandwimpel steckt.

© Tilo Fries 20.6.2008


Traum
von Tilo Fries

War es ein Traum? Gut geschlafen hat  Machnidis jedenfalls nicht, ob des nächtlichen Hupkonzerts. Der Jubel der Türken in Berlin hat verzögert eingesetzt, als wenn sie es selbst nicht gleich glauben konnten: Der Ausgleichstreffer in der letzten Minute und anschliessend drei verschossene Elfmeter der Kroaten.
Machnidis freut sich mit seinen türkischen Nachbarn, die ihn zum Feiern eingeladen haben. Einer hat beide Flaggen ins Autofenster geklemmt: die türkische und die deutsche.
"Möglicherweise soll hier das Bekenntnis auf ein ausgewogenes Halbfinale zum Ausdruck gebracht werden ..."  denkt der müde Machnidis  "... auf ein Unentschieden mit traumhaften Elfmeterschiessen"

© Tilo Fries 21.6.2008


Perspektiven
von Tilo Fries

Aus der Sicht der Deutschen Mannschaft war das vielleicht ein schwaches Spiel, das Halbfinale gegen die Türkei. Machnidis jedoch fand es schön und spannend. Die Fussballartistik der Spanier im anderen Halbfinalspiel hat ihn geradezu entzückt.

Und schon sind wieder zwei fussballfreie Tage zu überstehen. Ein bitterer Vorgeschmack auf die Nach-EM-Zeit. Doch noch steht das hoffentlich spannende Aufeinandertreffen von deutscher Gründlichkeit und mediterraner Ästhetik bevor.

Machnidis trifft einen griechischen Landsmann, der ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift: "Griechenland - Europameister 2004".
Gern lässt sich Machnidis daran erinnern, dass bis zum Sonntag Griechenland amtierender Europameister ist.

© Tilo Fries 27.6.2008


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